Was bedeutet mir Literatur?
Auf die Frage von Bernhard F. Müller*, ob es einen deutschen Dichter oder japanischen Schriftsteller gebe, den er gerne oder "unbedingt...auf eine einsame Insel" mitnehmen würde, gab der japanische Sprachwissenschaftler, Germanist und Philosoph Dr. Kennosuke Ezawa, der weit über fünf Jahrzehnte in Deutschland lebt und wirkt, eine kontroverse, aber intellektuell hoch anregende und brilliante Antwort:
"Nein, merkwürdigerweise gibt es für mich einen solchen Lieblingsautor nicht. Jonathan Swifts 'Gulliver's Travels' wäre vielleicht die einzige Ausnahme.
In Japan war ich literaturbesessenen gewesen, in Deutschland aber hörte jedes Interesse an Literatur schlagartig auf. Literatur war für mich eine Ersatzrealität. Die Realität war plötzlich vor meinen Augen, ich brauchte keine Literatur mehr. Als ich in Europa sozusagen inmitten der Literatur zu leben anfing, sah ich eine Fata Morgana verschwinden. Alles war verschwunden und einer geistigen Produktivität gewichen.. All die Lektüre, die ich in Japan betrieben hatte, hatte mir in Deutschland nichts genützt.
Wenn ich trotzdem einen großen japanischen Denker nennen soll, würde ich Fukuzawa Yukichi, den Begründer Keio-Universität nennen, den ich allerdings erst hier in Zusammenhang mit meiner kulturtheoretischen Beschäftigung entdeckt habe."
* Quelle: Interview Bernhard F.Müller, DJG Berlin mit Dr. Kennosuke Ezawa, Kawaraban DJG Berlin 1/2014, S.21ff
ab