Mizui Yasuo 水井康雄 (1925-2008), Bildhauer 彫刻家

Berliner Künstlerprogramm - Bildende Kunst - Das Gedächtnis der Steine 石の来歴 -


Quelle Foto links

Viele sichtbare Zeugnisse von Japanern, die mit Deutschland tiefe Verbundenheit bezeugen, lassen sich finden. Als Beispiele seien nur die japanischen Finanzierungen des Mendelssohn-Bartholdy-Hauses in Leipzig und der Kirschbäume am Mauerweg in Berlin genannt. Erstere geben Auskunft über die Verehrung deutscher Musik in Japan, letztere über die allgemein tiefe Sympathie, mit der Japaner aus allen Gesellschaftskreisen angesichts geschichtlichen und zeitgenössischen Geschehens in Deutschland nicht nur Mitgefühl empfinden, sondern dieses auch konkret sichtbar zum Ausdruck bringen.

Weniger bekannt, aber vor dem Hintergrund seiner Historie umso eindrucksvoller, ist in diesem Zusammenhang der Gedenkort der "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt" an geschichtsträchtiger Stelle in Berlin-Tiergarten am Bundeskanzleramt und in Nähe des Reichstagsgebäudes des Deutschen Bundestages zu erwähnen.


Ausschnitt einer Gedenktafel am Gedenkort der "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt", ermöglicht durch Michael Cramer, Mitglied der Fraktion Die Grünen/EFA Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament; Text von Rainer E. Klemke

Er verdankt seine Entstehung einer spontanen Reaktion israelischer, japanischer und deutscher Bildhauer auf den Bau der Berliner Mauer im August 1961. Sie war als eine, die Freiheit bejahende, künstlerische Antwort auf dieses fatale Monument politischer Gewalt und Unfreiheit gedacht, an der sich dann auch Bildhauer aus Frankreich, der Schweiz, Österreich und Ungarn beteiligten. 

Die Mitwirkung von zwei japanischen Bildhauern, Yoshikuni Iida und unserer hier beschriebenes Lebensbild, Yasuo Mizui (1),(2),(3),(4),(5), ist umso bemerkenswerter als in ihrer japanischen Heimat aktive Erinnerung an geschichtliche Prozesse der Zeitgeschichte (1) (2) in dieser Form nahezu unbekannt ist.

Das - wie oben gezeigt - für die deutsche Zeitgeschichte so bedeutsame Gelände, auf dem dann im Winter 1961/1962 von jenen Bildhauern die Steinskulpturen geschaffen wurden, hatte der Berliner Senat zur Verfügung gestellt. Zu dieser Zeit war es noch eine unwirtliche Brache am Rande von West-Berlin.


水井 康雄

Das Gedächtnis der Steine 石の来歴

Was ist bis dahin wohl aus mir geworden? Ein Stein vielleicht?“ Diese Frage schrieb Irmtraud Schaarschmidt-Richter der japanischen Dichterin Ichiyô Higuchi (1871-1896) 20 Tage vor deren Tod zu. Eine Antwort findet sich in dem tiefgründigen Roman des japanischen Autors Hikaru Okuizumi  Das Gedächtnis der Steine.“ (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, München, 1994 (奥泉光「石の来歴」1994年3月、文藝春秋,1997年2月,文春文庫):

"…..Ich will damit nur sagen, das ein winziger Kiesel ...ein Querschnitt durch ein Drama ist, das vor über fünf Milliarden Jahren an einem Ort begann, dem man dann  später als Sonnensystem bezeichnen sollte – eine Gaswolke schwebte ziellos durch den Raum, wurde dichter und dichter, bis sie nach unzähligen Äonen schließlich unseren Planeten gebar. Dieser Kieselstein ist die verdichtete Geschichte des Universums und hält in seiner ephemeren Gestalt den ewigen Kreislauf der Materie umschlossen.“ Und an anderer Stelle: „Ein Kieselstein in unserer Hand erzählt die Geschichte der Welt, und auch Sie sind ein Teil dieser Geschichte. Und was Sie entdecken, ist die Gestalt, die Sie in Zukunft annehmen werden.“

Daran denkt man, betrachtet man die Oberfläche der in Stein gehauen Formen von Yasuo Mizui im Detail:

„Noch auf dem unscheinbarsten Kieselstein ist bis in alle Einzelheiten die Geschichte des Planeten verzeichnet, den wir Erde nennen...
Wissen sie überhaupt, wie Gestein entsteht? ...Steine entstehen nicht nur aus Magma, die Meteoriten zum Beispiel stammen aus dem Weltall....Doch in erster Linie führen chemische Prozesse zur Entstehung der Steine. Abgesehen vom Wasser oder Eis spielen lebende Organismen durch die Versteinerung ihrer Körper im Erosionsprozess eine wichtige Rolle. Bestimmt ist Ihnen bekannt, dass Kohle nichts anderes ist, als das fossile Holz  uralter Bäume. Kalk und Kieselsäuregestein bestehen aus den zusammengepressten Skeletten von Kleinstlebewesen…selbst das Kalzium in unseren Knochen wird am Ende zu Stein und ein Teil des mineralischen Kreislaufes.“

"...das Gestein erodiert unter Einwirkung von Wind und Wetter auf der Erdoberfläche und zerfällt in einzelne Gesteinsbrocken. Diese verwandeln sich schließlich in Sand, und der Sand wird zu Erde.

Dann werden Steine, Sand und Erde von Flüssen davon getragen  und setzen sich auf dem Grund von Seen, Sümpfen oder auf dem Meeresboden ab, wo sie sich wieder zu Felsen formieren. Der Fels zerbröckelt erneut zu Steinen, Sand und Erde oder wird tief unter die Erdoberfläche transportiert und unter Einwirkung großer Hitze und ungeheurem Druck als ein neues Gestein in allen möglichen Formen und Größen wieder geboren. Manchmal verschmilzt er auch zu Magma und nimmt so seine ursprüngliche Gestalt wieder an.“

„So sind Mineralien niemals statische Gebilde, nicht eine Sekunde lang, im Gegenteil, sie sind fortwährender Veränderung unterworfen. Alle Materie ist Teil eines nie endenden Kreislaufes."

Nachstehend Ausschnitte aus Skulpturen von Yasuo Mizui: "Ohne Titel", "Himmelschlüssel", 1961,Gedenkstätte "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt"; "Schlüssel", 1963, Olivaer Platz, beide Berlin.

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Ausschnitt aus einer Gedenktafel am Gedenkort der "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt", ermöglicht durch Michael Cramer, Mitglied der Fraktion Die Grünen/EFA Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament; Text von Rainer E. Klemke.

Yasuo Mizui und seine Bildhauer-Kollegen hatten sich im September 1961 auf einem Bildhauersymposium im Kaisersteinbruch eingefunden und hatten sich, als sie von der Errichtung der Berliner Mauer durch die damalige DDR gehört hatten, unverzüglich an den Ort des Geschehens aufgemacht. Dort beschlossen sie, nach Fertigstellung von Skulpturen an obigem Gedenkort, ein weiteres Bildhauersymposium in Berlin im Jahr 1963 zu veranstalten - das "Mauersymposium". Die Gruppe dieses Symposiums, also auch Yasuo Mizui, erhielt hierfür 1962 den Preis (Bildende Kunst) des Verbandes der deutschen Kritiker. Mizui war damit der einzige Japaner, der mit dieser herausragenden Würdigung neben der Malerin Lieko Ikemura, die diese Auszeichnung im Jahr 2001 erhielt, geehrt wurde.

Die beiden Skulpturen von Yasuo Mizui - die eine "Himmelschlüssel" genannt, die andere, kleinere "Ohne Titel" - sind in unmittelbarer Nachbarschaft positioniert worden (Filmausschnitt zum Schaffen von Mizui bei der Erstellung der Skulpturen - Direktzugriff über den  6. Keyframe rechts). Heute hat sich dieses öde Gelände der 1960er Jahre in eine großzügig weitläufige Parklandschaft gewandelt.




Yasuo Mizui: Himmelschlüssel, 1961, ca. 4 m hoch, Gedenkstätte "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt", Platz der Republik,Berlin


Yasuo Mizuis monumentale Steinskulptur "Himmelsschlüssel" hat vier Jahrzehnte nach seiner Erschaffung seine künstlerische Forderung eingelöst: Zur Zeit der vertieften Spaltung Deutschlands und Europas und der gefährlichen Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes Anfang der 1960er Jahre hatte sich das Kunstwerk der Gewalt der Errichtung der Berliner Mauer entgegengestellt. Daß dieses künstlerische Symbol des steinernen "Himmelschlüssel" hellseherisch war, wissen wir heute, vier Jahrzehnte später. Denn dieser, seinerzeit als Zeichen der Freiheit und des Widerstandes geschaffene, steinerne Schlüssel hat vorausgesehen, daß die brutal verschlossene Tür zwischen Ost und West eines Tages aufgeschlossen werden wird.






Yasuo Mizui: "Ohne Titel", 1961, Gedenkstätte "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt", Berlin", Berlin






Am Olivaer Platz in Berlin steht eine weitere Plastik von Yasuo Mizui, "Der Schlüssel" (1963, Höhe 1,20 m) in ganz anderer Atmosphäre, derzeit umgeben vom angestaubten Charm des alten West-Berlin und geprägt von der Graffitti-Welt des Berlin nach dem Mauerfall. Zur Zeit, als der japanische Bildhauer dieses Werk schuf, war das Umfeld des Platzes vermutlich noch von einem bürgerlich gehobenen Umfeld am Kurfürstendamm geprägt gewesen.





Yasuo Mizui war nach einem Ingenieur Studium und daran anschließend nach dem Studium der Architektur und Bildhauerkunst in Japan nach Europa gekommen, um sich in Frankreich bis zu seinem Tod niederzulassen und zu arbeiten.

Doch riß seine Verbundenheit mit der japanischen Heimat nie ab. Eine Reihe seiner Skulpturen befinden sich an öffentlichen Plätzen und in Museen.

1963 wurde er in der ersten Staffel einer TV Serie "Toki no Hito" 「時の人」 ("Menschen in ihrer Zeit") aufgenommen.

In Japan war Yasuo Mizui auch an der geographischen Erweiterung der Institution des oben erwähnten deutschen und europäischen Bildhauersymposiums auf Japan beteiligt. Anlässlich der Olympiade in Tôkyô arrangierte er dort mit europäischen und japanischen Teilnehmern das erste Internationale Bildhauer-Symposium Tôkyô 世界近代彫刻シンポシウム







Im Jahr 1969 beteiligte sich Yasuo Mizui noch einmal in Deutschland an dem Oggelshauser Bildhauersymposium mit einer monumentalen Steinfigur. Dort nahmen auch andere Japaner teil, so der Bildhauer und Hochschullehrer an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, Hiromi Akiyama 秋山礼 und der ebenfalls in Deutschland lebende Bildhauer, Makoto Fujiwara.

Yasuo Mizui war zu dieser Zeit Teilnehmer des Berliner Künstlerprogramms. Mehrere andere japanische Gäste, die überwiegend zu internationaler Bedeutung gelangten, nahmen im Bereich "Bildende Kunst" an dem Berliner Künstlerprogramm teil.

Yasuo Mizui: Himmelschlüssel, 1961, Gedenkstätte "Skulpturen gegen Krieg und Gewalt", Berlin

Yasuo Mitsui bei der Erstellung seiner Plastik "Himmelschlüssel" 1961/62 am Gedenkort  "Skulpturen gegen Krie3g und Gewalt" an der Grenze Berlin-Tiergarten
Quelle















































Das Gedächtnis der Steine 石の来歴

Genaue Betrachtung der Steinplastiken von Yasuo Mizui belebt die Erinnerung an den spannenden, doch tiefgründigen Roman des japanischen Autors Hikaru Okuizumi  Das Gedächtnis der Steine.“ Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, München, 1994 (奥泉 光  「石の来歴」、1994年3月、 文藝春秋、1997年2月 文春文庫).

Wie kaum ein anderes Bildhauerwerk lassen sich die Worte von Okuizumi zur kosmischen Bedeutung des Steines in jenem oben erwähnten Werk "Ohne Titel" von Yasuo Mizui aus Muschelkalk nachempfinden: "…..Ich will damit nur sagen, das ein winziger Kiesel ...ein Querschnitt durch ein Drama ist, das vor über fünf Milliarden Jahren an einem Ort begann, dem man dann  später als Sonnensystem bezeichnen sollte – eine Gaswolke schwebte ziellos durch den Raum, wurde dichter und dichter, bis sie nach unzähligen Äonen schließlich unseren Planeten gebar. Dieser Kieselstein ist die verdichtete Geschichte des Universums und hält in seiner ephemeren Gestalt den ewigen Kreislauf der Materie umschlossen.“ (S.8 ff) Und an anderer Stelle: „Ein Kieselstein in unserer  Hand erzählt die Geschichte der Welt, und auch Sie sind ein Teil dieser Geschichte. Und was sie entdecken, ist die Gestalt, die Sie in Zukunft annehmen werden.“

Aber auch Mizuis anderen, oben genannten Werke lassen literarischen "Die Erinnerung an die Steine" von Okuizumi optisch sichtbar erfahren: „Noch auf dem unscheinbarsten Kieselstein ist bis in alle Einzelheiten die Geschichte des Planeten verzeichnet, den wir Erde nennen...Wissen sie überhaupt, wie Gestein entsteht? ...Steine entstehen nicht nur aus Magma, die Meteoriten zum Beispiel stammen aus dem Weltall....Doch in erster Linie führen chemische Prozesse zur Entstehung der Steine. Abgesehen vom Wasser oder Eis spielen lebende Organismen durch die Versteinerung ihrer Körper im Erosionsprozess eine wichtige Rolle. Bestimmt ist Ihnen bekannt, dass Kohle nichts anderes ist, als das fossile Holz  uralter Bäume. Kalk und Kieselsäuregestein bestehen aus den zusammengepressten Skeletten von Kleinstlebewesen…selbst das Kalzium in unseren Knochen wird am Ende zu Stein und ein Teil des mineralischen Kreislaufes.“

"...das Gestein erodiert unter Einwirkung von Wind und Wetter auf der Erdoberfläche und zerfällt in einzelne Gesteinsbrocken. Diese verwandeln sich schließlich in Sand, und der Sand wird zu Erde.


Dann werden Steine, Sand und Erde von Flüssen davon getragen  und setzen sich auf dem Grund von Seen, Sümpfen oder auf dem Meeresboden ab, wo sie sich wieder zu Felsen formieren. Der Fels zerbröckelt erneut zu Steinen, Sand und Erde oder wird tief unter die Erdoberfläche transportiert und unter Einwirkung großer Hitze und ungeheurem Druck als ein neues Gestein in allen möglichen Formen und Größen wiedergeboren. Manchmal verschmilzt er auch zu Magma und nimmt so seine ursprüngliche Gestalt wieder an.“

„So sind Mineralien niemals statische Gebilde, nicht eine Sekunde lang, im Gegenteil, sie sind fortwährender Veränderung unterworfen. Alle Materie ist Teil eines nie endenden Kreislaufes."

Man könnte Yasuo Mitzuis Werk "Himmelschlüssel, das Anfang der 1960er Jahre zur Zeit der vertieften Spaltung Deutschlands und Europas dem Bau der Mauer in Berlin als Symbol der gefährlichen Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes seine künstlerische Entstehung verdankte, eine fast hellseherische Wirkung zuerkennen. Denn dieser als Zeichen der Freiheit und des Widerstandes gegen Gewalt und Krieg geschaffene steinerne Schlüssel Mizuis hat vier Jahrzehnte später auf Grund dieser Philosophie des ständigen Wechsels der Materie und der Welt die bis dahin verschlossene Tür der Hoffnung angesichts des Abrisses des inhumanen Trennungslinie von Ost und West in Berlin und Europa aufgeschlossen.
















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