Definitionen

Die Geschichte der Deutschen in Ostasien setzt zwei Begriffe voraus, die nur scheinbar selbstverständlich sind und die es zu erklären gilt:

Ostasien wird definiert als das Gebiet, welches die folgenden Länder in ihren heutigen Grenzen abdecken: Mongolei, China einschließlich Tibets, Taiwan, Korea, Japan. Historisch betrachtet ist diese Region kulturell seit dem ersten Jahrtausend n. Chr. stark von der Han-Zivilisation beeinflußt wurden. Aus vereinsgeschichtlichen Gründen wird das geographisch Südostasien zugeordnete indonesische Archipel einbezogen, beschränkt auf die Zeit von Juni 1596 (die Expedition unter Cornelis de Houtman erreicht das Sultanat Bantam) bis Dezember 1948 (Zerstörung von Sarangan), wobei sich ab 1648 die hier beleuchtete Geschichte nur noch auf Deutsche in engeren Sinne bezieht.

Mit dem Begriff der Deutschen wird die begriffliche Eingrenzung des historischen Interessengebiets schwieriger. Die heute übliche staatsrechtliche Definition wer Deutscher ist, etwa nach dem bundesrepublikanischen GG Art. 116, entfaltet wegen seines historischen Bezugs auf das Jahr 1937 keine definitorische Kraft für frühere Zeiten, wo etwa, wie im frühen Mittelalter, kein Territorialprinzip existierte. Zudem ist der Begriff des "Deutschen" bzw. der "Deutschen" ein historisches Phänomen, das einem steten semantischen Wandel unterliegt.

Entstanden ist er aus dem seit 786 n.Chr. belegten mittellateinischen Begriff "theodisca lingua" zur Charakterisierung der germanischen "Volks" (idg. *teuta, got. Þiuda, ahd. diot)-Sprache im Gegensatz zur lateinischen Schriftsprache der Eliten des Fränkischen Reichs sowie der "rustica lingua romana" der im Westen des Reichs unterworfenen gallorömischen Bevölkerung. Nach der Teilung von 843 wird die Sprache der im ostfränkischen Reich lebenden Stämme u.a. der Franken, Sachsen, Thüringer, Hessen, Allemannen und Bajuwaren, aber anfangs auch der Angelsachsen, als "teutisca" / "diutisk" (="volks")-sprachig bezeichnet (so z.B. Notker Balbulus in Gesta Karoli 1, 10, 24-25). Dies im Gegensatz zum "walhisk" (=volcae/keltisch, übertragen "welsch bzw. romanisch sprechend") der in "Walha" (daraus "la Gaule"), i.e. im Westfrankenreich, lebenden Galloromanen. Erst im Annolied um 1080 wird die Sprachbezeichnung zu einer ethnischen Sammelbezeichnung der Bewohner des Regnum Teutonicorum oder der Diutsche lant (=Deutschland). Die ethnische Zugehörigkeit ergibt sich aus der muttersprachlichen: Ein Diutschi man oder teitsch man (Deutscher) ist, wer deutsch spricht.

Politisch geht dies mit der Entwicklung des Regnum Francorum orientalium ab 843 zum Romanum Imperium der Ottonen 962 und dem Sacrum Imperium der Staufer im Jahr 1157 einher, das 1806 als Heiliges Römisches Reich deutscher Nation untergehen sollte. Als Deutscher galt ab dem 11. Jahrhundert eine Person, die eine nichtromanische und nichtslawische Sprache im Reich der Franken bzw. ihrer mittelalterlichen Nachfolgestaaten verwendete, ganz gleich ob dies nun bairischer, niedersächsischer, niederfränkischer oder alemannischer Mundart war.

Später traten die Träger der deutschen Südkolonisation (Zimbern, Walser, Tiroler) und der Ostkolonisation einschließlich der Siebenbürger Sachsen, Zipser, Böhmen- und Baltendeutsche, der Donauschwaben und Bukowinadeutschen, der Wolga- und Schwarzmeerdeutschen hinzu.

Der Begriff "deutsch", "deitsch", "duuts" kennzeichnete darüber hinaus auch die im westfränkischen Reich verbliebenen Teile des niederfränkischen Sprachraums in Westflandern und Lothringen.

Deutscher ist demnach im Hoch- und Spätmittelalter jemand, dessen Muttersprache deutsch im Sinne der obigen Definition ist und dessen kulturellen Traditionen in dieser (identitätsstiftenden) Sprache überliefert werden.

Der Verlust der Sprache führt zum Verlust der ethnischen Identität, wie beispielsweise in der Assimilierung der deutschen Einwanderer in den Vereinigten Staaten von Amerika. Umgekehrt führt die Übernahme von Sprache und kulturellen Traditionen der eingesessenen Bevölkerung zur Akkulturation und sprachlichen Assimilation, zur "Eindeutschung": Dies gilt für die Einwanderung von Juden ins Ostfrankenreich seit dem 9. Jahrhundert (insbesondere aber für die Zeit mit Beginn der Judenemanzipation Ende des 18. Jahrhunderts), für französischsprechende Hugenotten nach 1685 und lothringische Recalcitrants nach 1766 als auch für die Einwanderung von Katholiken aus Polen und Litauen ab Ende des 18. Jahrhunderts, aber z.B. auch für die jüngeren Einwanderungsereignisse in den Jahren nach 1945 (aus Osteuropa), 1956 (aus Ungarn), 1968 (aus der Tschechoslowakei) oder infolge der "Gastarbeiter"-Zuwanderung aus Südeuropa bzw. der Türkei.

Bis ins 15. Jahrhundert galten die Friesen nicht als Deutsche, wurde zwischen der „Freschen und der Duitschen grunt“ unterschieden (Hajo van Lengen: Siedlungsgebiet der Friesen im nordwestlichen Niedersachsen mit den heutigen Verwaltungsgrenzen. Gutachten der Feriening Frysk Underwiis für das Bundesministerium des Inneren, 2011, S.7). Mit Beginn der Neuzeit erfolgte auch hier eine Assimilation, obwohl Friesisch gegenüber allen deutschen Dialekten eine eigenständige westgermanische Sprache bildet im Gegensatz zum benachbarten Niederdeutschen, was sowohl in Teilen Niedersachsens als auch im Osthälfte der Niederlande von Gronigen bis Gelderland ("Nedersaksisch") gesprochen wird. Vom Niederländischen im engeren Sinne in Holland und Brabant einmal ganz abgesehen, das sich jenseits der Grenze zu Deutschland als niederfränkisches Dialektkontinuum ("Niederrheinisch") fortpflanzt. 

Das Verhältnis des "Deutschen" zum "Friesischen", mehr noch zum "Niederländischen" und "Schweizerdeutschen" zeigt aber auch, daß die sprachlich-kulturelle Definition dort an ihre Grenze stößt, wo sich durch den Fortgang der Historie ein Teil des Sprach- und Kulturraums abtrennt und einen eigenständigen Weg nimmt.

Der sprachlich-kulturellen Definition schließt sich mit dem Aufkommen des Territorialprinzips im Hoch- und Spätmittelalter zunehmend eine staatsrechtliche Abgrenzung des Begriffs an.

Auch wenn viele Niederländer, nicht zuletzt aufgrund des Wandels des Begriffs "deutsch" im Zeitalter des Nationalismus nach 1789 und insbesondere durch die geschichtlichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs einer Identifizierung mit dem Begriff des Deutschen ablehnend gegenüberstehen, galten sie dennoch bis ins 19. Jahrhundert hinein in den Augen ihrer Nachbarn als ethnische Deutsche. Bis zum 19. Jahrhundert wurde der in Holland und Brabant als Niederländisch zur Schriftform geratene niederfränkische Dialekt von ihnen selbst als "duuts" bzw. "diets" (=deutsch) bzw. als "nederduits" bezeichnet. Sowohl im Plattdeutschen/Niedersaksischen als auch im Englischen war "diets" bzw. „dutch" lange Zeit eine kognatische Bezeichnung für alle westgermanischen Sprachen im Gebiet der heutigen Staaten Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweiz.

Diese Gleichsetzung von "deutsch" und "niederländisch" galt auch für Ostasien, wo z.B. das Tokugawa-Schogunat am 24.8.1609 bei der Erteilung eines handelspas in der Übersetzung Kaempfers von der Vereinigten Ostindien Compagnie als der "vereinigten Hollaendischen Kompagnie deutscher Kaufleute, so auf Ostindien handelt und ihre Faktorei zu Firando hat" spricht sowie "alle(n) deutsche(n) Schiffe(n), die da in mein Kaisertum Japan kommen" Schutz bietet (Kaempfer, E.: Geschichte und Beschreibung von Japan, Bd. 2, hg. v. C.W. von Dohm, Meyersche Buchhandlung:Lemgo 1779, in: Deutsches Textarchiv <http://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779>, abgerufen am 11.07.2016, S.129; vgl. Kreiner, J.: Deutsche Spaziergänge in Tokyo, München:Iudicium 1996, S.17). Erst Ende des 17. Jahrhunderts fangen japanische Quellen an, zwischen "deutsch" und "holländisch" zu unterscheiden: "1695 erschien Joken Nishikawas (1648-1724) Kai-Tsûshô-kô (Überlegungen zum Handelsaustausch von Japanern und anderen Völkern) als erste japanische Schrift zur Weltkulturgeographie. Das Buch ist nachweislich das älteste japanische Dokument, in dem 'Deutschland' genannt wurde: 'toichi-ranto' oder 'toichi-koku'. 'Toichi' gibt das holländische Wort 'Duits' (Deutsch) in japanischer Aussprache wieder und ebenso 'ranto' das holländische Wort 'land' (Land)…" (Takahashi, T.:  Japan und Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Wirkungen des deutschen Japan-Forschers Engelbert Kaempfer. Eine historische Skizze, in: Lüsebrink, H.-J.: Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, S. 208-227, Göttingen:Wallstein 2006, S.210).

Der Wandel des Begriffs "deutsch" zeigt sich auch in der Ethnogenese der Schweizer. Während die Eidgenossen mit dem Frieden von Basel vom 22.9.1499 den rechtlichen status quo ante (seit Friederich II. im Jahr 1240 die Einwohner von Schwyz unter seinen direkten Schutz gestellt hatte; vgl. Signori, G.: Das 13. Jahrhundert, Einführung in die Geschichte des spätmittelalterlichen Europa, Stuttgart:Kohlhammer 2007, S.147) wiederhergestellt sahen und weiterhin Kaiserkrone und Doppeladler im Wappen führten, bildete sich seit den Kriegen mit dem Erzherzogtum Österreich (als unmittelbare Landesherrschaft) ein als Schimpfwort (Kuhschwyzer = Bauerntrottel) von den Schwaben und Österreichern verwendeter Name eines der Urkantone (Schwyz) zur Eigenbezeichnung heraus. Die offizielle Bezeichnung der republikanisch organisierten Eidgenossenschaft (bis 1648) lautete seit dem 15. Jahrhundert Liga vetus et magna Alamaniae superioris ("Der alte und große Bund oberdeutscher Lande"). Der bei den Friedensverhandlungen in Basel niedergelegte Wunsch der Eidgenossen "gnedeclich wider zum Rich" zugelassen zu werden, wie auch ihre Bereitschaft im 16. Jahrhundert, vom Kaiser angeforderte Truppenkontingente für den Reichskrieg gegen die Osmanen zu stellen (Sieber-Lehmann, C.: Basel, Frieden von [1499], in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8892.php), bestätigt ihr Selbstverständnis als dem Reich rechtlich zugehörig bis zum Westphälischen Frieden. Die Deutschschweizer werden deshalb im Sinne eines übernationalen und überstaatlichen Begriffs aufgrund ihrer kulturellen und sprachlichen Abkunft aus dem ostfränkischen Reich hier bis zum Ausscheiden aus dem Reich 1648 als Deutsche behandelt.

Eine ähnliche Entwicklung von einem Spottnamen zur Ehrenbezeichnung erfolgte bekanntlich in den Niederlanden (der Begriff selbst entsteht aus der Unterteilung der Burgundischen Reichskreises in die niederen Lande, i.e. "Bourgondische Nederlanden", und die Oberlande mit der Freigrafschaft Burgund, i.e. "Bourgondische Hooglanden") mit dem aus dem Französischen stammenden Begriff der Geusen. Dort waren die Sieben Vereinigten Provinzen, die Foederatae Belgii Provinciae (Konföderation der Grafschaften Holland und Zeeland, Herrschaften Groningen, Friesland, Utrecht und Overijssel und des Herzogtums Geldern) mit der Plakkaat van Verlatinghe vom 26. Juli 1581, in dem sie den Landesherrn (Philipp II. Habsburg, König v. Spanien) für abgesetzt erklärten, de facto aus dem "Heilige Roomse Rijk" ausgeschieden. De jure erkannten sie die Oberhoheit des Reichs weiter an und sahen sich noch im Dreißigjährigen Krieg als Vertreter der Sache der protestantischen Reichsstände. So unterstützten sie den Anspruch von Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, der sich 1621 nach Den Haag gerettet hatte und später in Rhenen residierte, ebenso wie ihnen umgekehrt protestantische Truppen unter Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel und Ernst von Mansfeld gegen die spanisch-ligistischen Angriffe (Ambrosio Spínola & Johan t'Serclaes Graaf v. Tilly), bei der Befreiung von Bergen-op-Zoom im Oktober 1622 und beim gescheiterten Entsatz von Breda im Mai 1625 zur Hilfe kamen.

Den Thron des Landesherrn erklärten sie 1581 als vakant ("vacance d'emploi"; vgl. Gachard, L.P.: Études et notices historiques concernant l'histoire des Pays-Bas, Bd. 3, Paris:Hayez 1890:333, 388). Das Staten-Generaal (allgemeine Ständeparlament) setzte keinen neuen Monarchen oder Präsidenten ein (solche Überlegungen gab es), sondern führte ab 1588 die "Statthalterschaft" (an Stelle des Kaisers seit Errichtung des Burgundischen Reichskreises im Jahr 1512) in personae der Grafen von Nassau bzw. Prinzen von Oranien fort. So war Wilhelm I. v. Oranien seit 1559 "Statthalter" und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 1584. Die sieben Konföderaten sind mit der autonomen Ratsherrschaft in reichsunmittelbaren Stadtstaaten und Republiken wie Straßburg, Zürich, Bisanz (Besançon), Genua oder Siena zu vergleichen, die politisch unabhängig agierten, de jure weiterhin dem Reich angehörten. (Ein Umstand, auf den sich beispielsweise Bisanz, das - wie vormals die Niederlande - als Landesherrn den spanischen König hatte, im Jahr 1668 vergeblich berief, als die Stadtregierung den Angriff des Prince de Condé mit dem Argument abzuwehren versuchte, der Krieg Frankreichs mit Spanien ginge Bisanz nichts an, die freie Reichsstadt gehöre völkerrechtlich zum Heiligen Römischen Reich - dessen Kaiser, Leopold I., sie aber nicht zu schützen vermochte; vgl. Martin, H.: The Age of Louis XIV., in: Martin's History of France, Bd. 1, übers. v. M.Booth, Boston:Walker&Wise 1865, S.295.)

Der Aufstand der Generalstände richtete sich nicht gegen die Zugehörigkeit zum Reich, sondern gegen den Versuch der Durchsetzung der spanisch-habsburgischen Lehnsherrschaft und Religionsauffassung. Begründet wird dies mit dem Recht auf Widerstand, um das vormalige Große Privileg (Groot Privilege) aus der Zeit Maria v. Burgunds, die Rechte aus dem Burgundischen Vertrag vom 1548 und die Freiheit der Religionsausübung (Calvinismus) gegen den Augsburger Religionsfrieden von 1555, der die reformierten Bekenntnisse von den vertraglichen Garantien ausschloß, zu verteidigen. De jure schieden die Niederlande 1648 mit dem Frieden von Münster aus dem Reich aus.

Aus diesem Grunde ist bis zu diesem Datum die frühe Geschichte der holländischen, brabantischen und zeeländischen Handelsunternehmungen nach Fernost und Ostindien Teil der hier behandelten Geschichte der Deutschen in Ostasien. Deshalb sind Mitglieder der 1602 gegründeten Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) wie der um 1558 geborene Jan Joosten Lodenstijn aus Delft als Angehörige des Heiligen Römischen Reichs Deutsche im Sinne der hier gegebenen sprachlich-kulturell-historischen Definition. Lodenstijn ist sowohl Teil der Geschichte der Deutschen als auch der der Niederländer in Ostasien. Die Geschichte der Deutschen in Europa, und damit die Geschichte der Deutschen in Ostasien, ist, wie eingangs vermerkt, die Geschichte eines fließenden Wandels.

Zur Abgrenzung des hier behandelten Sachverhaltes soll es daher genügen, daß bis zum Jahr 1648 die Geschichte der Deutschschweizer und Niederländer als Teil der Geschichte der Deutschen begriffen wird. Dies gilt analog für Liechtensteiner und Österreicher bis 1806 sowie Luxemburger bis 1839, auch wenn die ethnische und sprachlich-kulturelle Nähe vorgenannter Staatsangehöriger zu den Deutschen im heutigen staatsrechtlich engeren Sinne nicht bestritten werden soll.

Durch die Mitgliedschaft der Benelux-Staaten, Frankreichs, Österreichs und Deutschlands in der Europäischen Union beginnt sich im übrigen der Kreis zu schließen, der mit dem Zerbrechen des Reichs der Franken und der Auseinanderentwicklung von Welschen und Deitschen seinen Anfang nahm. [ar]

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