Grünbein, Durs グリンバイン・ヅルス 又は、グリューンバイン・ドゥルス(geb. 1962), Dichter 文人,

グリンバイン・ヅルス





Auf You Tube findet sich ein Video des Schweizer Fernsehens "Sternstunde Philosophie. Durs Grünbein", das ab ca. Abspielminute 39 auch auf Japan und Durs Grünbein eingeht.



グリューンバイン・ドゥルス



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"Zerrüttungen nach einer Tasse Tee oder Reisetage mit Issa"

Durs Grünbein (Video), einer der bedeutenden, mit zahllosen Literaturpreisen geehrter deutschsprachiger Dichter - bescheiden betritt er den Saal des Literaturforums des Brecht-Hauses in Berlin zur anberaumten Lesung. Extravaganzen beim Aufritt eines aussergewöhnlichen Schriftstellers sind nicht auszumachen. Sein Outfit ähnelt alltäglicher Massenware undefinierbaren Dunkels, ist nicht einmal Berliner Mode, die sich an einer Stelle der Stadt den Slogan gibt: "Dirty is the new Clean", erinnert eher an den Habitus eines bebrillten, fleißigen deutschen Akademikers der mittleren Ebene.

Nur das bauchige Weinglas, gefüllt mit der Kühle eines frischen Weißweines, mutmasslich aus Italien, dem Land der Sehnsucht, das, und die er lässig zu seinem Platz mitbringt, verbreitet einen Duft weltmännischer Großzügigkeit in dem von der Sommerhitze erwärmten kleinen Saal, den die Bewunderer des Dichters bis zur letzten räumlichen Möglichkeit zugestopft haben. Dieser Gestus erweist sich als wirksamer Wink des genialen Meisters, der die hohe Erwartung seiner schwitzenden Adepten an diesem Abend beflügelt.

Die heutige Lesung hat "Tiere im Text" zum Mittelpunkt. Die Moderatorin  des Abends, Katja Lange-Müller, ist Schriftstellerin und langjährige Freundin des Dichters. Vielleicht ist sie auch hinzugebeten, da in den Titeln ihrer Werke böse Schafe, verfrühte Tierliebe, ein süßer und ein saurer Käfer thematisiert sind. Sie ist eine glückliche Wahl. Führt sie doch den Poeten, der angesichts eines enormen Paketes loser Blätter seiner Gedichte auf der Tischplatte vor ihm immer wieder versucht aus der Lesung in eine Plauderei zu entfliehen, durch charmante Impertinenz und fast japanisch stille Wortkargheit auf den Weg der Lesung zurück , den mit dem Dichter zu beschreiten die Zuhörer ja gekommen sind.

Fernöstliche Bezüge schmücken die Einleitung von Katja Lange-Müller. Sie selbst hat einige Zeit in Asien verbracht. Es ist von asiatischen Tierkreiszeichen die Rede.

Die ostwärts gerichtete, geistige Lokalisierung der Einführung passt zu den Eindrücken aus dieser ersten persönlichen Begegnung mit dem bescheiden wirkenden Dichter Durs Grünbein. Assoziiert sie doch sein Bild mit dem eines japanisch  zurückhaltenden Meisters.

Und die Gedanken werden auf Grünbeins verschiedene literarischen Äusserungen zu Japan, vor allem auf  "Lob des Taifuns. Reisetagebücher in Haiku" gelenkt. Das Buch erschien als in Leder gebundene Ausgabe im Suhrkamp Verlag als Insel-Buch und teilweise als Leporello mit Kalligraphien der von Japan inspirierten, genialen deutschen Buchkünstlerin Veronika Schäpers, der Grünbein ein Haiku widmete: "Was macht die Chronik?...".

Durs Grünbein hat das japanische Inselreich verschiedentlich bereist und pflegt offensichtlich auch den Austausch mit der aktuellen literarischen Welt Japans, wenn auch sein Bekanntheitsgrad dort bedauerlicher Weise eher als niedrig einzustufen ist.

Die literarischen Erinnerungen einer seiner Japan-Reisen überschrieb der Dichter: "Zerrüttungen nach einer Tasse Tee oder Reisetage mit Issa".  Das Nachwort von Yûji Nawata 縄田雄二, betitelt mit dem Beginn des Grünbein- Haikus, "Wasser und Wolken ziehen wie immer dahin", weist auf ein Wortspiel in diesem Titel hin: Die beiden chinesischen Zeichen im Namen des von Grünbein benannten und von ihm besonders geschätzten Haiku Dichters Issa Kobayashi (1763-1828) korrespondieren mit denen der Bedeutungen "Eine" und "Tee". Issas Reisetagebuch nahm Grünbein auf diese Reise mit. Aus dem Nachwort und dem eigenen Nachwort "Siebzehn Silben des Augenblicks" von Grünbein wird jedenfalls schon an dieser Stelle klar: Dieser Japanreisende hat sich intensiv mit der japanischen Kultur befasst.

Das, was er dabei erfuhr, hat den deutschen Dichter "sensibilisiert" und "angeregt, bezaubert", ja "begeistert", wie er selbst schreibt. Doch nicht zu japonisierender Nachahmung des Gefundenen trug ihn seine Inspiration.

Vielmehr erweckte sie in ihm einen schaffensreichen Antrieb durch "konfirmative Freude": Im japanischen Haiku-Dichter und dessen "anthropologischer Konzentration auf das Wesentliche" fand er eine "unbewusste Verbundenheit im geräumigen Inneren des poetischen Menschen", "wenn auch in anderem Gewand." Er erhielt Bestätigung dafür, was ihm "seit langem das Entscheidende ist bei jeder Lektüre: Wir Planetarier sind ein Gehirn. Über alle Sprachbarrieren und Exotismus hinweg gab es etwas, das uns gemeinsam war".

Dass solch' interkulturelles Verstehen produktiv gelingt, ist, zumal im künstlerischen Bereich, eher selten. Zumeist sind die Ergebnisse oberflächlich und erscheinen gekünstelt erzwungen. Durs Grünbein dagegen gelang der Spagat zwischen den sehr disparaten Kulturen des deutschsprachigen Europas und des fernöstlichen Japan, obwohl er - wie er selbst einmal aussagte -   weder Japanisch beherrsche noch sich eine tiefer gehende Kenntnis der japanischen Literatur angeeignet habe.

Letztere Aussage erscheint zunächst in ihrer koketten Untertreibung Ausfluß einer undistanzierten Adaption des gelobten Landes Japans durch den deutschen Dichter zu sein, in diesem Fall Anpassung an die Tugend des Zurückstellens der eigenen Person vor dem Gegenüber: Eine charakteristische Facette japanischer sozialer Interaktion. Doch belegt die obige persönliche Begegnung mit ihm wohltuend, dass dies ein Fehlurteil ist. Der Peinlichkeit bei einer ähnlichen Lesung durch einen anderen, für sein Japan-Buch zu Recht ausgezeichneten deutschen Schriftsteller, seine Zuhörer im japanischen Sitz auf japanischen Reismatten und das nächstemal vielleicht noch in japanischer Kleidung zu empfangen, wird dieser Dichter nicht erliegen. 

Natürlich hat der sensible deutsche Poet die japanischen Landschaften "mit ihren gedämpften, von blauen Dunst verschleierten Perspektiven", die aus Kieferhainen hervorleuchtenden Tempel, "die anheimelnden Formen des Regens (der hier immer etwas Tröstliches, die Seele Stärkendes hat)" und die Küste von Kamakura: "Gespenstig ruhig liegt -/Nicht zu sehn, nur zu hören/Im Nebel das Meer" erlebt.

Aber er denkt "zuallerst an diesen erstaunlichen Menschenschlag" des Landes, wie er in seinem Nachwort schreibt.

Auch hier gilt für Grünbein, das Transnationale in der Begegnung mit dem Anderen, in diesem Fall mit den Japanern, aufzufinden. Seine Sympathie gilt nicht völkerkundlichen Fetischen vieler Japanfreunde, sondern zum Beispiel den "kollektivierten Existenzen" der einzelnen Japaner, die in die strengen sozialen Gruppenzwänge der Gesellschaft ihres Landes eingebunden sind. Er sieht sie distanziert in rigider Gruppendisziplin gefangen, die unter der weiß-roten Nationalflagge zu fatalen geschichtlichen Exzessen führte: "Furchtbar der Anblick/Der rohen Sonne. Im Krieg/Brannte halb China."

Daneben aber pflegten dieselben "atomisierten Existenzen" eine Extravaganz im stillen. Allenfalls Künstler im Westen könnten sich von dieser Lebenshaltung noch einen Begriff machen, meint Grünbein, und sieht hier mit dem russischen Philosophen Alexandre Kojève einen japanischen Gegenpol zum "American way of life".

Auf seinen Japan-Reisen fühlt sich Durs Grünbein daher von dem "Otaku" beeindruckt, "der in enger Wohnzelle monomanisch seiner abstrusen Sammelleidenschaft (Knöpfe alter Schuluniformen oder Modellflugzeuge in der Nußschale)" nachgeht, und der "darüber  die Außenwelt längst vergessen hat". Dagegen läßt er beim Museumsbesuch "den braven Kunsthistoriker gern stehen" und wandert "lieber ohne Kommentare durch die ausgestorbenen Nebensäle" und hat "das Hotel durch einen Seiteneingang verlassen, um ungestört in dem Alltagsstrom einer japanischen Metropole zu entkommen und darin unterzutauchen." Das erinnert an die Japan-Faszination von Grünbeins Künsterkollegen, den Zeichner und Radierer Horst Janssen.

Grünbein trifft auf die von deutscher Musik hingerissene Japanerin: "Aus Liebe zu Schubert/Hat sie Deutsch gelernt. Leise/Sagt sie Verzeihung./Abends bringt sie den Sake,/Tags studiert sie Gesang." Welch' tiefe Enttäuschung muss jene Schubertianerin, die sich in einem Sushi-Restaurant das Geld für ihren Gesangsunterricht bitter verdient, angesichts der kalten Weigerung einiger deutscher Musiker und  Orchester - aber glücklicherweise nicht aller - empfinden, die Urlaub zu nehmen vorgeben, um angesichts der tragischen Jahrhundertkatastrophe in Japan vermeindliche Nachteile ihrer Gesundheit zu kaschieren, die ein Auftritt bei dem schon festgesetzten Konzerttermin bringen könnte?

Mit seiner bewundernden Betrachtung Japans, die gleichzeitig die Kritik eines aufrichtig guten Freundes nicht beiseite läßt, hat Durs Grünbein in seinen Reisetagebüchern überzeugende Verbindung zwischen Japan und dem deutschsprachigen Raum geschlagen. Er ist kein billiger Anbiederer oder diplomatisch übertünchender Lobsänger des Landes der aufgehenden Sonne, sondern Sympathisant, der den konstruktiven Dialog zu beiderseitiger Bereicherung sucht.

Um dies zu verdeutlichen, weist der erwähnte japanische Übersetzer von Durs Grünbein, der Germanistik Professor Yûji Nawata, auf die Jahrhunderte alte Tradition der japanischen Gedichte (Waka) und Kurzgedichte (Tanka) hin. Neben der starren Regel einer Morenzahl entweder von 31, geteilt in 5/7/5/7/7, oder 5/7/5 mit 17 Silben zeichnen diese zwei Facetten aus: Die inhaltliche Bedeutung des "Scherzes" (Haikai 俳諧) und die Verwendung von Jahreszeitwörtern" (kigo  季語) . Während der Humor etwas in den Hintergrund trat, erstarrte die zweite Forderung nach bestimmten Wörtern in deren Kanonisierung und wurde zu einer Metaliteratur der Kurzgedichte.

Neben dem Rückgriff auf das alt hergebrachte Reisetagebuch in der Haiku-Literatur (Basho) hat Grünbein die humoreske Tradition des Haikus mit offensichtlicher Freude in seinen Haikus gepflegt. Man kann vermuten, dass er dies in dialektischer Freude tat, um beispielsweise der tiefsinnigen, aber freudlos depressiven Einsicht der buddhistischen Lehre von der Vergänglichkeit aller Dinge einen entlastenden Scherz gegenüberzustellen, der uns vor defätistischem Trübsinn bewahren soll: "Schlafender Buddha/Die Stirn voller Vogelkot./Kein Platsch! weckt ihn auf".

Die Silbenzahl 17 verteidigte der deutsche Haiku-Dichter zumeist, nicht aber die über Jahrhunderte in ihrer Bedeutung fest gefrorenen "Jahreszeitwörter": "Grünbein will in seinen Zyklen...kein Absender verschlüsselter Texte unter Anwendung des Codierungssystems der alten Wakas sein und dieser vorgegebenen Regel nicht blind gehorchen," schreibt Nawata. Sein Interesse zentriere "nicht so sehr" auf "Naturlyrik", sondern wende sich kulturellen und gesellschaftlichen Themen zu. "Statt mit Jahreszeitenworten auf klassische Wakas und somit auf die Literaturgeschichte Japans  Bezug zu nehmen schreibt Grünbein ...im Kontext der metropolitanen Kulturgeschichte der Welt."

Dieser kosmopolitische Ansatz des deutschsprachigen Dichters japanischer Haiku wird durch seinen japanischen Übersetzer Yûji Nawata beflügelt: Dieser hat den Rückweg der Haikus aus dem Deutschen in seine japanische Muttersprache so geöffnet, dass sie nicht in der traditionellen Haiku- und Tankaform in ihr ursprüngliches Herkunftsland zurückgelangen. Keine klassischen japanischen Kurzgedichte eines Deutschen wurden derart den Japaner übermittelt.

Sinn dieser stilistischen Operation im sprachlichen Transformationsprozess der Übersetzung war, dass der lyrische Charakter von Grünbeins Gedichten auch im Japanischen erhalten bleibt. Die lyrische Sprache des Japanischen selbst hat durch diese Methode eine neue Dimension gewonnen, die in Verbindung mit der Sprache moderner japanischer Lyrik eine fruchtbare Beziehung des europäisch-japanischen Kulturaustausches begründen, wie Nawata darlegt.



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